Es ist eine ernsthafte Überlegung,
die durchaus berechtigt ist. Wir haben uns angewöhnt über die
damalige Zeit und ihre Zeitzeugen zu urteilen, ohne zu wissen, wie
wir uns selbst verhalten hätten. Und nun sagt jeder, dass er niemals
so - oder ähnlich - gehandelt hätte.
Ja? Sind hier nur "Geschwister
Scholl" oder "Schindlers" unterwegs? Man sollte sich
einmal in die Zeit hineinversetzen; mit all ihrer Propaganda,
Meinungsmache, Kriegsgeschrei, Manipulation und Bedrohung. ... Ja ...
Bedrohung.
Wie viele Helden sind hier? Wie viele
Menschen sind hier, die Anne Frank im Speicher versteckt hätten;
immer lebend mit der Angst, dass man - mit Familie - im Lager enden
kann. Wie viele Leute sind hier, die der Verführung, dem Beitritt
der Partei, der braunen Verwandtschaft und dem politischen Lügenhaus
widerstanden hätten? Wer mit den Wölfen heult, hat viele Freunde,
viele gleiche Meinungen, viel Zustimmung, wenig Ärger und viel Sicherheit
im Leben, Beruf und Karriere.
Damals war noch jeder vom großen Sieg,
vom tausendjährigen Reich und von Hitlers Charisma gefangen und
überzeugt. Man kann leicht zurückblicken und sagen, dass man sich
niemals hätte so beeinflussen lassen.
Ja, hinterher weiß man es besser. Aber
damals konnte keiner in die Zukunft sehen. Es gab nur Nazi oder Tod.
Der Hass gegen die Juden drang bis in die hinterste Ecke der
hintersten Zimmer. Beeinflussung und geistige Manipulation hat sich
bei einem Großteil der Bevölkerung, bis lange über die Kriegszeit
hinweg, tief in ihr Seelen eingefressen. Es traute sich nur keiner
mehr etwas in der Nachkriegszeit offen zu sagen. Wer in der Zeit
Hitlers nicht von purer Angst beherrscht wurde, war meist dermaßen
manipuliert, dass man Bruder und Vater verraten hätte, wenn nur ein
falsches Wort gefallen wäre. Und wenn der Wehrdienst rief,
marschierte jeder mit, der nicht sofort erschossen werden wollte. Wer
von euch, hätte also Flugblätter gedruckt oder nur Fragen gestellt?
Wir können alle dankbar sein, dass wir später geboren wurden. Wer
weiß, wie wir selbst gehandelt hätten.
Und nun, da wir wissen dass wir
vielleicht nicht besser sind als unsere Großmütter und Großväter
damals, graut es mir vor der Gegenwart und besonders vor der
Zukunft.
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